Wiedaerhütte

Südharzeisenbahn
Wiedaerhütte


Ausgrabungen ohne Schaufel

Als ich mir im Jahr 2005 das Heft «Harzer Schmalspur-Spezialitäten» kaufte, war mir nicht bewusst, was der Inhalt auslösen würde. Neben vielen spannenden Beiträgen blieb ich bei der Headline «Bahnhistorie unterm Tennisplatz» hängen und wollte nach tiefer «Inhalation» des Beitrags auch ein Modell bauen; damals noch in Nenngröße 2. Letztendlich hat es mich nach intensivem Lesen der gesamten Spezialausgabe dann doch richtig gepackt und habe unsäglich viele Zeichnungen angelegt.

Zunächst sagt sich das leichter, als es tatsächlich ist, fehlt es ungeachtet der «Harzer Schmalspur-Spezialitäten» immer noch an richtigen Informationen und Plänen. Daher recherchiert und geplant und nochmals recherchiert und geplant, aber irgendwie passte alles nicht so recht. Das große Übel daran ist, dass durch fehlerhafte Informationen in der Literatur kostbare Zeit verbraucht wird und im Endeffekt doch nichts Brauchbares dabei herauskommt.
Aus dieser Misere half mir ein Eisenbahnmodellbauer, dem es die SHE auch sehr angetan hat und zudem profunder Kenner der Südharzeisenbahn ist, mit vielen Kopien von Originalplänen. Wäre ich diesen Unterlagen nicht habhaft geworden, ich glaube, ich hätte das Thema SHE aufgegeben. In der Folgezeit erstellte ich nicht nur von der Haltestelle Wiedaerhütte alleine viele Zeichnungen in den verschiedensten Maßstäben, allen voran die Nenngröße 2 (1:22,5).


Haltestelle Wiedaerhütte  |  Gleisplan 1:87

OOK hatte bereits schon in seinem Spezial einen Gleisplan vorgestellt, allerdings ist das mehr eine kartografische Übersicht als ein adaptierbarer Gleisplan für einen Eisenbahnmodellbauer. Deshalb möchte ich meinen maßstäblichen Gleisplan als Ergänzung zur erbrachten Leistung von OOK verstanden wissen und nicht als Kritik.


Der Anlagenentwurf fußt auf einer originalen Schlussvermessungskarte und habe lediglich die Seilzuganlage mit einer Haspel weggelassen, die zum Verholen von Güterwagen durch Arbeiter des Hüttenwerks eingesetzt worden ist, wenn keine Lok vorhanden war.

Stichwort Seilzuganlage
Eine Schlussvermessungskarte zeigt stets ein geplantes Bauvorhaben vor Baubeginn einer Strecke, weshalb sich die Seilzuganlage auch nicht auffinden lässt. Weil das keine bahnbautechnische Maßnahme ist, oblag die Installallation dieser Seilzuganlage dem Werk mit entsprechender Endabnahme durch das zuständige Bahnamt. Etwas stört mich an der bereits erwähnten kartografischen Übersicht von OOK, nämlich der Umstand, dass das Seil bedingt über den Spill das Hauptgleis kreuzt. Oder war das Verholen durch angemeldete „Sperrfahrt“ gesichert?
Wenn mich meine Beobachtungen nicht täuschen, wurde wahrscheinlich auch aus dem zweiten Einfahrgleis verholt; auch in das Freiladegleis. Sicher bin ich mir aber nicht!

Gleisbau
Über den Gleisbau bei der Südharzeisenbahn gibt's nur spärliche Informationen. Man kann nur nachlesen, dass die 12 Meter Gleisjoche ursprünglich 13 Schwellen aufwiesen und auf einem Planum mit 3,3 Meter Breite verlegt waren, und dass der Oberbau im Jahr 1925 mit 18.000 Schwellen und stärkeren Gleisprofilen erneuert wurde. Wer nach konkreten Angaben zu Abmessungen von Schwellen und deren Abstände zueinander sucht, sucht vergeblich. Einzig das Erwähnen des Gleisprofils mit einer Höhe von 115 mm und ein Gewicht von 24,39 kg/m gibt Auskunft darüber, was beim Bau der SHE ursprünglich verlegt worden ist. Die genauen Maße einer Schwelle hat mit ein Forumsmitglied genannt, welches Reste auf einer SHE-Brücke freundlicherweise vermessen hat, und betragen 2000 mm x 260 mm x 160 mm.

Weichen
Bei der SHE waren generell ortsgestellte EW 100, 1:8 verbaut. Über diesen Weichentyp finde ich in meinem Archiv leider nichts und habe daher diesen Weichentyp in einem Programm generiert (Einstellung in Kürze). Ich hoffe, dass das so alles stimmt, und dass ich bei meiner Suche nach einem originalen Lageplan in Kürze fündig werde.

Korrekte Schlussvermessungskarte?
Beim Anfertigen des Gleisplans habe ich festgestellt, dass der damalige technische Mitarbeiter beim Zeichnen der Radien etwas geschummelt hat. Die angegebenen Halbmesser betragen (v. l. n. r.) 130 m, 200 m (Hauptgleis), 150 m (Einfahrgleis 2), 300 m (Freiladegleis), 100 m (Ladegleis Lager mit Haspel) und 100 m bei der Ausfahrt in Richtung Stöberhai.
Bei den genannten Halbmessern und Ausmessungen der Bogenlängen in Grad würde es an den Übergängen in ein gerades Gleis arg klemmen und es hätte sich auch kein rechtwinkeliger Stoß ergeben, wenn nach diesem Plan gebaut worden wäre. Und auch das Gleisbild wäre bei einer Berechnungsgrundlage mit 12 m Gleisjochen ein ganz anderes gewesen. Das Fass mit der Aufschrift «Oberbau und Weichengeometrie» mache ich aber erst im Link «Gleisbau» auf. Wie auch immer, wichtig ist, dass mir überhaupt etwas zum Berechnen und Zeichnen vorgelegen hat.

Modellbahnanlage im Maßstab 1:87
Eine H0m-Anlage hätte im gezeigten Beispiel eine Stellfläche von insgesamt 510 x 80 cm und die Module eine Tiefe von 50 cm. Die Längenabmessung beträgt beim zweiten Modul 110 cm (wegen Einfahrweiche), bei allen anderen sind es jeweils 100 cm, und es gibt auch wieder parallel geneigte Module (1, 3, 5) zu berücksichtigen mit (v. l. n. r.) 10 Grad, -15 Grad und 15 Grad Neigung. Zum Thema Weichen wäre ausdrücklich zu erwähnen, dass hier kompletter Selbstbau angesagt ist, denn geeignete Weichen (EW100 / 1:8) gibt es im Handel nicht, auch annähernd nicht.
Wer den Vorschlag nachbauen möchte, dabei aber einen «industriellen» Weichenwinkel (BEMO 9,1º, PECO 12º, Tillig 18º) im Sinn hat, der kann gleich neu planen. Mit den genannten Weichenwinkeln ergibt sich nicht nur eine größere Modultiefe alleine. Die Bögen sehen dann nicht mehr «rund» aus und auch das Vorbild, die Maßstäblichkeit und der Eindruck gehen vollends verloren. Daran sollte man denken.


Haltestelle Wiedaerhütte  |  EG im Maßstab 1:22,5

Retrospektiv kann ich nicht sagen, wie viele Zeichnungen ich von diesem Gebäude gemacht habe bis ich zu der Überzeugung gelangte, dass jetzt alles richtig ist. Auch heute noch bin ich mir nicht sicher, ob das alles mit dem Originalbauwerk übereinstimmt, gibt es keine verlässlichen Angaben dazu und reelle Maße schon mal rein gar nicht. Da ist die Empirie und Gedankenkraft gefordert mithilfe von angelesenem Wissen (Opderbecke, Böhme, Issel, Stade, Graf u.a.) etwas zu ergründen, was schon längst Vergangenheit ist. Auf den Millimeter genau ist es mit Sicherheit nicht und man sollte Toleranzen berücksichtigen, aber wahrscheinlich liege ich mit meiner Rekonstruktion genau richtig, oder vielleicht doch nicht?

Any way - Hauptsache ist doch, dass der Modellbau Spaß macht. Dafür reiche ich meine Zeichnungen an die Hand, sodass Nachbauwillige damit etwas anfangen können. Es gilt noch zu erwähnen, dass das Fachwerk im Modell 6 x 6 mm aufweist, was im Original 140 x 140 mm entspricht. 140 x 140 mm deshalb, weil ja die Ausfachung noch reinpassen muss. In der Regel ist das ein Läuferverband mit Ziegelsteinen in der Abmessung 250 x 120 x 65 mm, was dem alten Reichsformat entspricht. Bei der Wiedaerhütte kommt noch hinzu, dass das Mauerwerk hinten bündig gesetzt ist und an der Vorderseite 2 cm Luft hat. Wenn die 2 cm in den Ausfachungen nicht verputzt werden, wird das Fachwerk generell an den Kanten gefast. Im Modell ist das Herstellen von derartigem Fachwerk zwar mit erheblichem Aufwand verbunden, allerdings hat man zum Schluss ein Modell von allererster Güte und staunende Blicke und Bewunderung auf jeder Ausstellung. Ich spreche aus Erfahrung! Wer wagt's?

24. Januar 2020
Anfang der Woche habe ich unverhofft Post von einem Kenner der Südharzeisenbahn erhalten, der mir einige Fotos von der Haltestelle Wiedaer Hütte zur Verfügung stellte. Beim Betrachten der Fotos sind mir einige Details aufgefallen, die mir bislang überhaupt nicht bekannt waren oder die in Büchern und Magazinen abgedruckten Fotos eine eindeutige Auflösung nicht ermöglicht haben. Das war Anlass genug, das Wacom Grafiktablett zu aktivieren, um alle Zeichnungen noch einmal zu überarbeiten. Im Grunde genommen sind es nur kleine Details, die einen anderen vielleicht nicht stören würden, wenn diese nicht eingezeichnet wären, aber mich schon. Deshalb die allerletzten Zeichnungen mit den allerletzten Korrekturen.

Ansicht West Haltestelle Wiedaerhütte im Jahr 1960
Finale Zeichnung - eingestellt am 26. Januar 2020


Ansicht Süd Haltestelle Wiedaerhütte im Jahr 1960
Finale Zeichnung - eingestellt am 26. Januar 2020


Ansicht Ost Haltestelle Wiedaerhütte mit Nebengebäude (Abort) im Jahr 1960
Finale Zeichnung - eingestellt am 26. Januar 2020


Ansicht Ost Haltestelle Wiedaerhütte ohne Nebengebäude (Abort) im Jahr 1960
Finale Zeichnung - eingestellt am 26. Januar 2020


Ansicht Nord Haltstelle Wiedaerhütte mit Nebengebäude (Abort) im Jahr 1960
Finale Zeichnung - eingestellt am 27. Januar 2020


Ansicht Nord Haltestelle Wiedaerhütte ohne Nebengebäude (Abort) im Jahr 1960
Finale Zeichnung - eingestellt am 27. Januar 2020

12. Januar 2020
Screenie aus einem Amateurfilm, die belegen, dass einst die Haltestelle Wiedaerhütte mit Überraschungen aufwarten konnte. So zeigte es sich, dass auch an der Giebelseite (Nord) des Güterbodens ein Fenster eingebaut war und nicht nur auf der Ostseite alleine. Auch sehr interessant ist die Annahme, dass man anscheinend von der Küche der Dienstwohnung aus direkt in den Stall gelangen konnte, wie das der angenommene Durchlass bei Abrissarbeiten zeigt. Sicher bin ich mir aber nicht!

Video Stills

Giebelseite Güterboden mit eingebautem Fenster.
Die schlechte Qualität bitte ich zu entschuldigen! 

Abrissarbeiten mit Blick auf den Warteraum (links) und die Stallungen (rechts), wo man
deutlich einen Durchlass erkennen kann. Allerdings könnte es auch ein Trugschluss sein.
Auch der Wechsel der Dachneigung von 30º (Warteraum) auf 25º (Stallung) ist gut zu erkennen.
Die schlechte Qualität bitte ich zu entschuldigen! 

19. Dezember 2020
Beim Ordnen meines Archivs viel mir ein Foto in die Hände, welches die Haltestelle in seiner Ursprungsausführung in Form eines Pappdummys darstellen soll, den ich 2009 gebaut hatte. Allerdings noch mit vielen Fehlern im Bereich Türen und Fenster. Ein Foto vom Empfangsgebäude der SHE aus der Anfangszeit ist in den Harzer Schmalspur-Spezialitäten auf Seite 21 zu finden.

Die Ausdrucke erfolgten mit einem Farblaserdrucker im Maßstab 1:45
und wurden auf dünne Wellpappe geklebt.


Haltestelle Wiedaerhütte  |  Nebengebäude im Maßstab 1:22,5

Als Zugabe und zum besseren Verständnis der Situation auf dem ehemaligen Bahnhofsgelände stelle ich das Nebengebäude als separate Zeichnung vor. Allerdings ist das Ganze auf Basis von ein paar Fotos entstanden, von denen nur eines etwas taugte, und ist daher mit äußerster Vorsicht zu bewerten. Es könnte so gewesen sein oder auch nicht. Alles beruht auf Auswertung der Fotos und meiner Empirie im Modellbau und angelesenem Fachwissen im Fachwerkbau.
Sollte jemand genaue Unterlagen besitzen, würde ich mich glücklich schätzen davon Kopien zu erhalten.

Ansicht West und Ost Nebengebäude Wiedaerhütte
Finale Zeichnung - eingestellt am 27. Januar 2020


Ansicht Süd und Nord Nebengebäude Wiedaerhütte mit Sichtschutz
Finale Zeichnung - eingestellt am 27. Januar 2020


Ansicht Süd und Nord Nebengebäude Wiedaerhütte ohne Sichtschutz
Finale Zeichnung - eingestellt am 27. Januar 2020

Jetzt fehlt nur noch der Grundriss vom gesamten Gelände, den ich im Laufe des Jahres 2021 vorstellen werde. Bis dahin bitte etwas Geduld!


Haltestelle Wiedaerhütte  |  Türen und Fenster

Die vorgestellten Zeichnungen sind alle mit Bildlegenden versehen, damit klar ist, wohin die Türen und Fenster eigentlich gehören. Sollte dennoch etwas unklar sein, bitte meine Gebäudezeichnungen zur Rate ziehen.




Diese Fenster waren als Doppelfenster ausgeführt.
Man sieht also nur die Flügel, die nach aussen
geöffnet wurden.







Haltestelle Wiedaerhütte  |  Gedanken zum Anlagenbau

Fiktive Anregungen für einen Anlagenbau gibt's seit Jahrzehnten in Hülle und Fülle, die sich aber in größeren bis sehr große Anlagenvorschläge niederschagen. Nur sehr selten wird der hilfesuchende Modellbahner fündig und muss dann die Vorschäge auch noch aufwendig umarbeiten, damit alles in sein Refugium hineinpasst. Nur wenige Autoren besitzen die Gabe Top-Anlagenvorschläge kreieren zu können und entwerfen dabei Lösungen, die sich an ein Vorbild halten. Gut, das ist für die meisten eben nicht mainstream, allerdings ist mainstream für einen echten Eisenbahnmodellbauer das Grauen oder besser noch, die Singularität (S+T=0  –  Raum und Zeit gleich Null). Deshalb sollte man froh sein, dass OOK die Wiedaerhütte ausgegraben und literarisch bereits vorgestellt hat.

Die alte Ansichtskarte (um 1910) zeigt in eindrucksvoller Weise, wie sehr sich die Haltestelle Wiedaerhütte mit ihrem reizvollen Stationsgebäude und industriellen Bauwerken für einen Anlagenbau eignet; von den betrieblichen Möglichkeiten einmal ganz abgesehen. Und genau genommen ist es in etwa die Ansicht, die ein Betrachter der Anlage erfassen soll. Für mich ist das alles ein Motiv mit fesselnder Ausstrahlung.

Bei meiner Rekonstruktion der Wiedaerhütte konnte ich nicht nur alleine auf Vermessungskarten, Fotos und Ansichtskarten zurückgreifen, sondern auch die Zeichnungen von Otto O. Kurbjuweit in seinem Sonderband „Harzer Schmalspur-Spezialitäten“ waren mir stets eine Hilfe, genauso wie beim Haltepunkt Kaiserweg. Das möchte ich einmal ausdrücklich bemerken und ihm dafür dank sagen.

Eine wunderbare Ansicht von der Haltestelle Wiedaerhütte
die zum Nachbauen geradezu herausfordert.
Ansichtskarte: Sammlung Horst Wilhelm Bauer



Rekonstruktionen, Illustrationen, Zeichnungen, Fotos, Modellbau: Horst Wilhelm Bauer
© Horst Wilhelm Bauer  •  Alle Rechte vorbehalten

Alle Ansichtskarten: Sammlung Horst Wilhelm Bauer